Business as usual im Leben einer Flugbegleiterin
Ich stehe fassungslos und mit starrer Miene vor einer geöffneten Flugzeugtoilette. Ich kann einfach nicht glauben was ich da sehe. Manchmal wünsche ich mir eine der vielen Rauchschutzhauben aufsetzten zu dürfen, denn sie besitzen ein eigenes chemisches Sauerstoffsytstem und verhindern das einatmen der kontaminierten Kabinenluft. Natürlich darf dieses Equipment nur in absoluten Notfällen verwendet werden und nicht um die Toilette zu überprüfen. Mein ausdrucksloses Starren wird kurz unterbrochen, da eine älteren Dame barfuß an mir vorbei huscht. Noch bevor ich etwas sagen oder sie warnen kann, schließt sie die Tür der besagten Toilette und ich kann nichts anderes tun, als wortlos meine Kinnlade hochzuklappen.
Noch 7 Stunden Flugzeit. Das ist eindeutig zu viel um sie für die gesamte verbleibende Zeit zu versperren. Kurz gesagt: Eine von uns muss sie sauber machen, zumindest oberflächlich. Und in der Fliegerei heißt eine nicht irgendjemand, sondern die, die als erstes am Unfallort angekommen ist. Die erste am Patienten bleibt beim Patienten. Oder auch: Der erste der das Feuer entdeckt hat, löscht sofort das Feuer. Ich bin der erste Firefighter. Die Tür springt auf und die Frau stürmt heraus: „überall Kacke, da ist überall Kacke!!“, schreit sie und steht erschrocken, ohne Hose vor mir in der Flugzeugküche.
Saftschubse – Kellnerin über den Wolken ohne Festvertrag
Ich bin keine von diesen Flugbegleiterinnen, die ihren Job bis aufs Blut verteidigt. Am Ende eines normalen Tages haben wir überteuerten Instantkaffee und Saft serviert, Kotztüten weggeräumt und massenhaft mit Desinfektionsmittel herum gesprüht. Wir tragen Kostüme, die nach 80er Jahre Melancholie aussehen und balancieren auf viel zu hohen Schuhen durch Flughäfen und enge Gänge. Nebenbei lassen wir uns, stets lächelnd, anschreien, beschimpfen und mit Essen bewerfen. Und das alles ohne Festvertrag, denn den gibt es meistens erst nach zwei Jahren, oder auch gar nicht. Wer sich einmal durch das strenge Auswahlverfahren gekämpft hat, ist noch lange nicht auf der sicheren Seite. In kaum einer anderen Branche ist man so ersetzbar wie hier. Es gibt Fluggesellschaften die ihre Mitarbeiter stets nach zwei Jahren entlassen und ganz einfach durch neue ersetzten. Dabei ist es egal ob man seine Arbeit gut gemacht hat oder nicht. Es gibt genug die den Job für weniger Geld machen und genau das wird ausgenutzt. Seriöse Fluggesellschaften legen natürlich wert auf Mitarbeiter die länger bleiben und das Unternehmen vertreten. Aber nur weil eine Fluggesellschaft groß und bekannt ist, heißt das jedoch nicht das das Personalmanagement fair ist. Ich hab da bei meinem Arbeitgeber wirklich Glück gehabt, kenne es aber persönlich auch anders von früheren Jobs.
Warum möchten Sie Flugbegleiterin werden?
„Warum möchten Sie Flugbegleiterin werden?“, ist die wohl am häufigsten gestellte Frage in einem Flugbegleiter Assessement Center und ich kann mir gut vorstellen welche Antworten die Personaler immer und immer wieder von den Bewerbern hören – aber auch hören möchten.
- Ich mag Menschen und möchte
- meinen Passagieren einen ganz besonderen Flug ermöglichen, denn Urlaub beginnt schließlich an Bord,
- außerdem bin ein Service Professional und möchte meinen Gästen den besten und ausgefallensten Service bieten.
Die meisten dieser Antworten sind erst einmal ernst gemeint. Hoch motiviert und etwas blauäugig habe ich am Anfang meiner Karriere genau das gleiche gesagt. Mittlerweile weiß ich es besser. Fliegen hat nicht mehr viel mit gutem Service zu tun und ist schlichtweg für die meisten auch nichts besonderes mehr. Es ist wie Bahn fahren, nur oft billiger, enger, stickiger und unangenehmer. Ein notwendiges Übel um von A nach B zu kommen. Man braucht viel Motivation um bei den vielen Beschwerden stets freundlich zu bleiben und genau das haben das fast alle Flugbegleiter perfektioniert: Denn es ist immer noch ein Traumjob – für mich und auch für viele andere.
Meine Gründe warum ich immer noch gerne als Flugbegleiterin arbeite.
- Kollegen aus aller Welt. Ich arbeite häufig als sogenannte Repräsentantin. Dabei fliege ich im Namen meiner eigenen Fluggesellschaft auf gemieteten Subchartern mit und beantworte Fragen der Passagiere, die eigentlich ihre gebuchte Airline erwartet haben. Da fliege ich unter anderem mit spanischen, polnischen, rumänischen oder auch französischen Kollegen von anderen Fluggesellschaften von A nach B. Und das ist großartig! Ich liebe es Menschen aus anderen Ländern kennen zu lernen. Auch auf unseren regulären Flügen haben wir internationale Kollegen aus aller Welt.
- Viel Freizeit. Aufgrund gesetzlicher Richtlinien darf man als fliegendes Personal nur eine gewisse Stundenanzahl in der Luft verbringen. Wer häufig lange Strecken fliegt, kommt super schnell an das vorgegebene Limit und hat den Rest der Zeit frei um sich zu Hause zu erholen (muss man auch). Außerdem hat man je nach Vertrag eigentlich mindestens zehn freie Tage im Monat wovon die freien Tage in einem anderen Land nicht wirklich mitgezählt werden. Und obwohl ein Arbeitstag wesentlich anstrengender ist, als ein Tag im Büro, habe ich genug Zeit für Freunde, meine privaten Reisen, einen Nebenjob oder ein Fernstudium.
- Feierabend ist Feierabend. Die Präsentation am Freitag muss noch vorbereitet werden? Und zwar nach Feierabend. Genau wie das wichtige Meeting was einfach nicht mehr reingepasst hat. Überstunden im klassischen Sinne? Gar nicht erlaubt. Ich nehme meine Arbeit nicht mit nach Hause und bin auch nicht 24/7 für meinen Chef erreichbar. Die Freizeit gehört nur mir und ich kann sie verbringen wie ich will. Und wenn ich den ganzen Montag im Bett liege, dann kann ich das ohne schlechtes Gewissen tun.
- Kein Mitglied der Leistungsgesellschaft. Wettrennen um die Beförderung? Gibt es bei mir nicht. Drogen um durch die Prüfungszeit zu kommen? Nein Danke. Konkurrenz um das begehrte, unbezahlte Praktikum? Kann ich mir eh nicht leisten. Kann ja sein, das Leute die in der freien Wirtschaft um ihre Leben rennen und mehr Geld verdienen als ich, dafür verbringe ich meinen Feierabend am Strand. Glück kann man eh nicht kaufen.
- Wir sind alle gleich. Klar wird unter Kollegen mal gefragt was man vorher gemacht hat, und wenn jemand nebenbei noch als Kinderkrankenschwester jobbt oder als Rechtsanwalt dann finde ich das mega toll, bewundernswert und super spannend. Aber prinzipiell sind wir sobald wir die lächerliche Uniform angezogen haben, alle gleich. Wir haben uns alle bewusst für diesen Job entschieden und es ist egal wie viele Doktortitel du hast oder eben nicht. Niemand interessiert es was deine Eltern gemacht haben oder wie viele Stufen du von der Karriereleiter schon geschafft hast. Wir verdienen mehr oder weniger alle das gleiche. Konkurrenz gibt es natürlich auch, aber die beschränkt sich meistens auch den flachen Bauch der Kollegin.
- Als Flugbegleiter zu arbeiten ist eine bewusste Entscheidung. Niemand wird Flugbegleiter weil die Eltern das so wollten oder weil man nichts besseres gefunden hat. Man muss diesen Wunsch rechtfertigen und damit leben das es nichts alltägliches ist. Es ist eine bewusste Entscheidung und man bekommt den Job auch nicht einfach so. Und genau das merkt man bei der Arbeit. Es kann 04:00 Uhr Morgens sein, aber so richtig schlechte Laune hat eigentlich niemand. Jeder macht den Job in der Regel gerne, denn sonst würde er ja einfach etwas anderes machen.
- Flexible Flugtickets. Ja ich weiß, früher war alles besser. Früher waren auch die Mitarbeiterangebote noch besser und günstiger. Aber diese sogenannten Standbytickets haben einen entscheidenen Vorteil: Der Preis ist stabil. Ich könnte also meinen Koffer packen, zum Flughafen fahren und mit geschlossenen Augen ein Ziel auswählen. Es wäre nicht teuerer als wenn ich es vor zwei Monaten gebucht hätte. Außerdem kann ich mein Ticket jederzeit völlig kostenfrei zurückgeben. Die Welt wird ein Stück kleiner und ich liebe diese Freiheit die ich durch den Job habe.
- Teilzeitmodelle. Viele Fluggesellschaften bieten die verschiedensten Teilzeitformen an. Eine Freundin von mir hat jeden Monat eine ganze Woche frei und nutzt die Zeit zum Surfen oder Reisen. Es gibt auch flexible Teilzeiten, wo man jeden Monat neu angibt wann man wie viel arbeiten kann. Die Auswahl ist riesig und zusätzlich gibt es noch die Möglichkeit auch einer Vielzahl an Flügen zu wählen. So kann man sich seinen Dienstplan ein Stück weit selbst zusammen stellen.
- Der Wohnort ist egal. Je nachdem ob du Langstrecke fliegst oder nicht, kann man als Flugbegleiterin theoretisch in Lissabon leben oder in Afrika. Du kannst in einem Land leben, in dem du normalerweise keinen Job finden würdest und trotzdem in Deutschland arbeiten. Ich habe das ein Jahr genutzt, jedoch für mich entschieden das es zu stressig ist. Es gibt aber sehr viele Kollegen die das machen. Von Miami, über Rio bis hin zu London ist da alles dabei.
- Flexibilität. Man hat nicht nur mehr Zeit für alle Freuden des Lebens, man kann sie auch unterbringen. Denn als Flugbegleiterin hat man keine klassische Woche von Montag bis Freitag. Man kann sich auch unter der Woche frei nehmen und dann entspannt zum Yoga gehen oder einen Kunstkurs machen. Auch Weiterbildungen oder ein Studium ist relativ einfach zu organisieren.
- Sonne, Strand und Meer. Fast alle Flugbegleiter haben eine Sache gemeinsam: Wir lieben Reisen. Wir wollen die Welt sehen, fremde Kulturen entdecken und jeden Monat den Sonnenuntergang in einer anderen Stadt bewundern. Egal bei welcher Fluggesellschaft und ob du nur alle paar Monate oder jede Woche Übernachtungen woanders hast. Allein schon durch die günstigen Tickets sind wir unterwegs. Und zwar viel und ständig.
Der Job ist zwar nicht das was er einmal war, er hat aber immer noch seinen Reiz. Ich würde ihn in nächster Zeit ungern gegen einen Bürojob tauschen und ich bin froh über alle Freiheiten die er mir ermöglicht. Obwohl Fliegen für die meisten mittlerweile nichts besonderes mehr ist, gibt es noch Ausnahmen. Es gibt immer mindestens einen Gast der völlig ausrastet, der sich seit Wochen auf dieses Erlebnis freut, mich mit Fragen löchert und stundenlang tausende Fotos aus dem kleinen Fenster schießt. Ich freue mich riesig darüber und es zeigt mir immer wieder, das der Job eben doch ziemlich toll sein kann. Außerdem hat man wahrscheinlich bei keinem anderen Job eine so tolle Aussicht aus dem Fenster (hier: Grönland).